Schamanismus in Nepal

Nepal ist ein Schmelztiegel von Völkern und Religionen; es Ieben ca. 50 verschiedene Ethnien dort... 


...eine Mischung vieler Völker und Religionen. Neben schamanischen Heilmethoden sind zwei weitere Medizinsysteme in Nepal vertreten, einerseits die aus den Veden stammende ayurvedische Medizin und die aus dem Buddhismus bzw. aus der vorangegangenen Bon‐Religion ableitende tibetische Medizin.  

Die schamanische Therapie nimmt eine wichtige Stellung in der Gesundheitsversorgung Nepals ein. Auch in den Regionen, in denen Spitäler mit biomedizinischen Mitteln arbeiten, ziehen es viele Kranke vor, einen Schamanen zu konsultieren. Die Behandlung ist in den meisten Fällen kostengünstiger und weniger zeitaufwendig. 

Es werden in Nepal zwischen 400.000 bis 800.000 Schamanen geschätzt. Seit den 80-igern kam es immer mehr zu einer Polarisierung zwischen „modern" und „rückständig".

Interview mit dem Schamanen Mohan Rai

Als ich in Nepal ankam, wurde mir gleich der Termin mit dem Schamanen von der Rezeption genannt. Die Nepalesin, die ich bei der Reisemesse kennengelernt habe, hatte bereits von Wien aus einem Termin für mich vereinbaren lassen. Ich wusste weder den Namen noch den Ort und auch nicht, welche Sprache der Schamane spricht. Als ich nach einer einstündigen Taxifahrt, außerhalb von Kathmandu mit meinen vorbereiteten Unterlagen und Tonbandgerät bei einem Einfamilienhaus ankam, war alles anders, als ich es mir vorgestellt habe. Der Schamane begrüßte mich mit einem freundlichen „Servus". Er stellt mich einer Gruppe Menschen vor und lud mich ein, an der soeben stattfindenden Unterrichtsstunde teilzunehmen. Die Studentengruppe bestand aus zwei Österreichern, vier Deutschen und zwei Schweizer Schüler: Mohan erzählte über die Kosmologie und die Götterwelt im Schamanismus in der Himalayaregion. Es stellte sich für mich heraus, dass ich mich in einem schamanischen Zentrum befinde, wo Kurse zum Thema Schamanismus abgehalten werden. Diese Kurse kann man per Internet buchen. Je nach Wunsch dauern sie von drei Wochen bis zu drei Monaten. lch hatte insgesamt an drei Schulungstagen teilgenommen. Die Unterrichtssprache war Englisch.


Das vereinbarte Interview mit Mohan fand in seinem Schulungszentrum in der Mittagspause am zweiten Tag statt. Das Gespräch wurde in Englisch ohne Tonband mit Handnotizen geführt.

Mohan ist 71 Jahre alt, stammt aus dem Grenzgebiet Nepal/Bhutan und gehört zum mongolischen Volk der Rai. Sein Vater war ein sehr berühmter Kirati‐Schamane („mundung"). Schamanismus hat er von seiner Großmutter und dann von seinem Vater vererbt bzw. gelehrt bekommen. Seit dem 6. Lebensjahr arbeitet er an der Schamanen Ausbildung. Man kann der Auserwählung nicht widerstehen, sich nicht widersetzen, man muss es anwenden", meinte er. Nach dem Militär, bei den Gurkhas in Indien, hat Mohan Nepal zuerst als Tourist kennengelernt. Er fühlte sich dort gleich zu Hause und arbeitete als Trekking Führer. Er sammelte Erfahrung als Bergführer in Deutschland, in Österreich (Kitzbüheler Alpen) und in Frankreich. Von dieser Zeit stammen auch seine Deutsch‐Kenntnisse. Als er zurück nach Nepal kam, wurde er der erste lizenzierte Guide in Nepal, der noch dazu 10 verschiedenen Sprachen beherrscht. Mohan lebt mit zwei Frauen und einer Freundin in einem gemeinsamen Haushalt. Sowohl eine Frau als auch die Freundin sind ebenfalls als Schamaninnen tätig. Er hat mit den drei Frauen insgesamt acht Kinder.

Was bedeutet Schamanismus für Mohan?

Der Schamanismus ist das älteste Heilsystem der Menschheit. Schamanismus ist eine Kultur und nicht vergleichbar mit einer Religion. Es ist ein universelles Gesetz, welches man nicht ändern kann. Schamanismus hat nichts mit Religion zu tun, es ist eine „Heilertätigkeit". Mohan bezeichnet sich selbst lieber als Heiler und nicht als Schamane. Er sieht sich heute als Vermittler zwischen dem östlichen Heilsystem und der westlichen Medizin. Er möchte, dass die Tradition des alten Heilsystems weiterlebt.

Warum hat Mohan ein Schamanen‐Zentrum gegründet?

Als sein Vater starb, war Mohan Trekkingführer im Himalaya. Er hatte in dieser Zeit viele Kontakte mit ausländischen Touristen geknüpft, unter anderem auch mit einem Anthropologen von der Colorado Universität. Dieser hat ihn zu einem Vortrag 1987 in die USA eingeladen. Das Vortragsthema handelte über die verschiedenen ethnischen Gruppen in Nepal und deren Sprachenvielfalt – 700‐800 in Summe. Am Ende des Vortrags meinte Mohan, dass es 700.000 Schamanen gibt in Nepal, aber die meisten sind seiner Meinung nach „quantitative" Schamanen, die wenig Qualität haben und nur Geld verdienen wollen. Er nennt diese Gruppe von Schamanen „Chicken‐Schamanen". Er entdeckte nach diesem Vortrag wieder die Freude am Schamanismus und wurde von seinem ausländischen Bekannten animiert, wieder aktiv zu werden. 1995 hat er das schamanische Zentrum in Nepal gegründet. Er möchte den westlichen Studenten eine Möglichkeit bieten, die östliche‐schamanische Philosophie kennenzulernen. Er befürchtet, dass das Wissen der Schamanen am Himalaya einerseits bald aussterben könnte, und auf der anderen Seite bemerkte er das Interesse des Westens an dieser Heilmethode. Er möchte beide Gruppen zusammenbringen. Es unterrichten Schamanen vom Stamm der Tamang, Rai, Sherpa und Gurung in seinem Zentrum. Seine Studenten kommen aus der USA, Kanada und aus Europa.

Was möchte Mohan der westlichen Welt vermitteln?

Schamanen leben überall auf der Welt seit über 40.000 Jahren, schätzungsweise aber seit hunderttausend Jahren. Die schamanischen Methoden der Heilung haben unseren Vorfahren das Überleben in einer feindlichen Umwelt ermöglicht. Zerstörerische Eingriffe in die Öko‐Systeme, die Verkennung lebensbestimmender Zusammenhänge und blinder Fortschrittsglaube haben uns der Natur entfremdet und die ganze Menschheit mittlerweile an den Rand einer globalen Katastrophe gebracht. Schamanismus bietet da die Chance zur Rückbesinnung auf die natürlichen Werte des Menschseins und gibt uns die Kraft und die Gelassenheit zurück, um den allgemeinen Wahn und die Hektik unserer Zeit besser zu überstehen. Die schamanischen Traditionen erinnern uns daran, dass sich die Menschen der Weisheit der Natur und des Rituals bedient haben, um Veränderungen und Lebensübergänge zu erleichtern, anstatt die Lebensprozesse einfach zu ignorieren oder zu verleugnen, wie wir es heute so häufig tun. (Auszug aus einem Vortrag von M. Rai, 1999 dt. Übersetzung). Mohan hat zum Ziel, das Verständnis der westlichen Schulmedizin mit der östlichen Philosophie zusammenbringen. „Die westliche Schulmedizin hat aufgrund der Business-Orientierung und der Technologisierung ihre Wurzeln vergessen." Mohan möchte den Leuten im Westen helfen, zu ihrer Tradition zurückzukehren. „Jeder hat heilerische Fähigkeiten, man muss zurückkehren zu den Wurzeln, um sie zu spüren".

Unterricht im Schamanen-Zentrum

Die Schamanen führen die Studenten in die Diagnose und Heilbehandlung ein, zeigen Rituale vor, erklären Kräuter und die Bedeutung von Ritualgegenstände. Die Diagnose erfolgt grundsätzlich entweder durch die Pulsdiagnose (es wird die Qualität des Pulses beobachtet, dabei gibt es ca. 2.000 Arten) oder der Reisdiagnose. Der Patient wühlt in einem Sack Reis und der Schamane nimmt daraus ein paar Körner und wirft sie auf einen Teller und stellt dann die Diagnose. Es gibt viele unterschiedliche Behandlungen. Die häufigsten Behandlungen sind, dass entweder über den Kopf ein Mantra geblasen wird oder die Krankheit mit Kräutern geheilt wird, Wasser über den Patienten gegossen wird oder mit dem Besen seine „Aura" gereinigt wird. Wichtig ist, dass der Schamane mit seinem Kosmos in Verbindung ist. Der Heiler sucht einen Namen für das Krankheitsproblem, benennt es und dann sucht er eine Lösung, wie es geheilt werden kann. Die Heilkräuter werden bei gemeinsamen Wanderungen im Himalayagebirge gesammelt und Mohan übernimmt bei der Schulung die Erklärung der schamanischen Philosophie, der Kosmologie und der Spiritualität. „Schamanen heilen nicht nur, sie sind auch Dichter und Schriftsteller, haben ein großes Wissen an Geschichten und wenn sie diese Geschichten erzählen, wird auch geheilt", erklärte mir Mohan. Der Unterricht dauert von mindestens 10 Tagen Orientierungskurs bis zu 36 Wochen, wenn eine Initiation damit verbunden sein soll.  

Mohans Ritualgegenstände am Altar: Das Wichtigste ist der Reiskorb bzw. ein Reisteller. Weiters eine Wasserkanne, ein Ammonit und ein Bergkristall; eine Phurba, eine Schamanentrommel, ein Dreizack, eine Sichel, ein Fell von einem Stachelschwein, die Glockenkette, die Schneckenkette, die Krone mit den Pfauenfedern, eine Öllampe und verschiedene Pflanzen.