Meine Reise zu Marlo, einem Ayahuasca-Schamanen

Medizinsystem und Schamanentum in Peru


Die Vielfalt der ethnomedizinischen Traditionen in Peru ist weltweit einmalig. Dazu tragen nicht zuletzt die extremen geografischen Gegebenheiten bei, welche die trockene Küstenwüste mit den früheren Hochkulturen von Moche und Nazca umfassen, das Andenhochland, Zentrum der quechuasprachigen Inka, und das Selva-Gebiet mit gegenwärtig noch über 60 verschiedenen ethnolinguistischen Gruppen.

Inka Medizin und der Ayuasca-Schamanen Besuch

Quellen zur präinkaischen Heilkunst der Hochkulturen, wie auch aus der Zeit der Inka, sind nur zum Teil erhalten, bekannt wurden zwar schon Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Funde von Schädeln mit großen Operations-Öffnungen (Trepanationen) und bereits im 16 Jahrhundert fand sich in europäischen Apotheken eine Vielzahl peruanischer Pflanzenheilstoffe, z. B. gegen Malaria. Alles heutige Wissen kann nur aus archäologischen Funden, aus Aufzeichnungen des 16. und 17. Jahrhunderts sowie aus Rückschlüssen von volksmedizinischen Bräuchen heutiger Heiler gewonnen werden. Wenngleich von Missionaren und Soldaten der Konquistadoren umfangreiche Materialsammlungen über die Kultur der Inka-Zeit existieren, finden sich dort nur wenige Anmerkungen über das Medizinwesen (vgl. Andritzky 1994, S. 97).


Aderlass ist eine Technik der Inka-Ärzte zum Zweck der Reinigung. Inka verboten Quecksilbersalben (von deren Verwendung in Europa kommt das Wort Quacksalber) wegen der gesundheitsschädlichen Folgen. Unter Krankheit verstand man primär nicht das biologische Phänomen, sondern die Strafe einer Gottheit, vor allem der Erdgöttin Pachamama, weshalb man ihr auch viele Opfer darbrachte, um Dinge, die aus dem Gleichgewicht geraten waren, wieder einzurenken.


Das Halluzinogen des San-Pedro-Kaktus wird heute vor allem in Nordperu von Heilern und Patienten bei nächtlichen Mesaritualen konsumiert. In der dadurch angeregten visionären Schau offenbaren sich dem Meister die Ursachen von Krankheiten, seien es Hexerei oder der Raub der Seele, und er gibt Auskunft, wo diese wiedergefunden werden kann. Der Gebrauch von psychogen wirkenden Pflanzen ist so alt wie der Schamanismus selbst. Die Art der verwendeten Pflanzen ist von den geografischen Bedingungen des Landes abhängig. So wird beispielsweise im Regenwaldgebiet die Ayahuasca-Liane verwendet, wogegen im Küstengebiet hauptsächlich der San-Pedro-Kaktus benutzt wird (Below 1997, S. 44).


Die Mesa ist das „wichtigste symbolische Requisit, das in Nordperu in allen nächtlichen Heilsitzungen gegen Hexerei eingesetzt wird" (Sharon 1987, S. 97). Der spanische Begriff „Mesa" bedeutet „Tisch" und wird unterschiedlich verstanden, entweder einfach als Opfertisch, auf dem die Opfergaben liegen, als nächtliches Heilritual oder als eine Anordnung von Gegenständen, die die Welt repräsentieren. Diese Aufreihung von Machtgegenständen auf der Mesa erfolgt nicht wahllos oder zufällig, sondern nach einer fest gefügten Ordnung, die Ausdruck von Calderóns, ein bedeutender südamerikanischer Schamane, Philosophie ist. Von grundlegender Bedeutung für die Anordnung ist der Dualismus von Positiv und Negativ. Calderóns Mesa ist rechteckig und horizontal in drei Felder eingeteilt, links das Campos ganadero (Feld des betrügerischen Viehhändlers), rechts das Campos justiciero oder Campos curandero (das positive Feld der Gerechtigkeit, das des Heilers) und in der Mitte das Campos medio, das neutrale Feld. (Andritzky 1994, S. 381).

Ein wichtiger Aspekt in der peruanischen Volksheilung ist die Reinigung mit einem Meerschweinchen – das Abreiben des menschlichen Körpers mit dem Tier und anschließend die Eingeweideschau, auf welche später noch genauer eingegangen wird.

Ayahuasca-Schamanen

„Ayahuasca" ist ein Wort aus dem Quechua, der bis heute in Peru lebendigen Sprache der Inka und bedeutet so viel wie „Liane der Seelen" – tropische Riesenschlingpflanze. Der Trank trägt in Amazonien viele Namen, denn er wird bei zahlreichen Stämmen für schamanische Rituale zubereitet. Der Gebrauch reicht bis in die präkolumbianische Zeit.

Die Zubereitung von Ayahuasca war in vergangenen Zeiten ein wohlgehütetes Geheimnis der Schamanen. Für die Schamanen und die nicht indianischen Ayahuasqueros ist die Wirkung des Trankes nicht auf einen Inhaltsstoff zurückzuführen, sondern auf die Pflanzenseelen, die sich den Menschen unter Ayahuasca-Einfluss als Lehrmeister offenbaren. Von ihnen kann man die Ursache einer Krankheit erfahren, das Rezept für ein Heilmittel erhalten und das tief im Wald versteckte Jagdwild gezeigt bekommen. Wenn die Schamanen etwas über eine ihnen bisher unbekannte Pflanze und deren heilsame Eigenschaften erfahren wollen, kombinieren sie die zu untersuchende Pflanze mit Ayahuasca und trinken das Gemisch. Im Ayahuasca-Rausch offenbart sich der Pflanzengeist der neuen Zutat (Gottwald/Rätsch 1998, S. 134-135).


Der Gebrauch von Ayahuasca hat das Ziel, Erkrankungen zu diagnostizieren bzw. zu heilen oder andere schamanische Aufgaben zu erfüllen, wie etwa die Kommunikation mit den Geistern von Pflanzen, Tieren oder Menschen — ob tot oder lebendig —, an weit entfernte Orte zu reisen, verlorene Objekte zu finden, in die Zukunft zu sehen usw. Alle Pflanzen, die zur Herstellung von Ayahuasca dienen, gehören einer Klasse an, welche die Schamanen vegetalistas doctores nennen, da sie annehmen, dass diese Pflanzen Geister besitzen, von denen sie die Medizin lernen und von denen sie das magische Phlegma und die magischen Gesänge und Melodien erhalten können, die die wichtigsten Werkzeuge in den schamanischen Handlungen der vegetalistas sind. Viele dieser Pflanzen-Lehrer werden als Zusatz zum Ayahuasca gegeben, da nämlich durch das Ayahuasca erst die Geister dieser Pflanzen kontaktiert werden und dadurch ihre heilenden Eigenschaften freisetzen können (Pfleiderer 1995, S. 130).

Viele Künstler benutzten Ayahuasca und stellten ihre Visionen dar, das berühmteste Beispiel ist der aus dem Amazonastiefland stammende Pablo Amaringo. Die Inspiration erhalten diese Künstler aus ihren Visionen.

Persönliche Erfahrung mit dem Ayahuasca-Schamanen Marlo (Amazonas)

Als wir Marlo in seiner Ordination besuchten, präsentierte er uns zuerst seine Heilmittel, verschiedene Wurzeln, Kräuter, Bäume und Blätter sowie auch fertige Essenzen. Sein Allheilmittel, welches er uns in einer PVC-Flasche zeigte und das wie eine braune Brühe aussah und wie Schnaps schmeckte, besteht aus einer Sieben-Wurzel-Tinktur, welche gegen Muskelverspannung, Arthritis, Müdigkeit, Schlappheit und Kraftlosigkeit wirkt. Marlo erklärte uns Krankheiten, die im Regenwald am häufigsten Auftreten, wie Lungenbeschwerden, TBC, Arthritis, Rheuma, Diphtherie, Magenerkrankungen, Parasitenbefall, Kalzium-Mangel, Zahnausfall und Verletzungen nach Unfällen, und dass seine Tinkturen fast immer wirkten.

Nach der Vorstellung seiner Heilmittel führte Marlo eine Reinigungszeremonie mit einem Patienten durch, um ihm positive Energie zuzuführen und ihn gegen negative Energieeinwirkungen zu schützen. Zuerst reinigte sich Marlo selbst, indem er einen Schluck Zuckerrohrschnaps mit eingelegten Knoblauchzehen trank und anschließend Kopf, Hals und Arme damit einrieb. Danach zündete er sich eine Zigarette an, atmete tief ein und blies Rauch ins T-Shirt, um seine Lunge auch äußerlich zu reinigen. Nun streckt Marlo die Hände in Höhe, um eine Verbindung mit den Geistern zu bekommen. Der Patient wird ebenfalls mit Schnaps am Kopf betupft und muss die Augen schließen. Marlo rasselt (die Rassel sieht aus wie ein Besen und besteht aus getrockneten Zweigen mit Blättern) dem Patienten im Uhrzeigersinn über den Kopf, danach um den Oberkörper. Er raucht dabei den Patienten immer wieder an und beginnt zu singen. Danach schüttelt der Schamane die Rassel aus, um die negative Energie abzuleiten. Der Patient faltet die Hände und der Schamane bläst Rauch hinein und macht ein Kreuzzeichen vor dem Oberkörper des Patienten und danach eine Handbewegung senkrecht und waagrecht, als würde er etwas „durchschneiden". Abschließend erzählt Marlo, was er während der Zeremonie gesehen hat. Ob es sich um eine Erkrankung handelt und wenn ja, welche Medizin wirksam ist und wo er die Zutaten dafür bekommen kann.